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Meldung vom: | Verfasser/in: Lavinia Meier-Ewert
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Forschende des Jenaer Leibniz-Instituts für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben mit einem internationalen Team eine neue Technologie entwickelt, die den hohen Energiebedarf von KI-Systemen in Zukunft deutlich reduzieren könnte. Das Verfahren nutzt Licht für das neuronale Rechnen und orientiert sich dabei an den neuronalen Netzwerken des menschlichen Gehirns. Dadurch wird die Datenverarbeitung nicht nur effizienter, sondern perspektivisch auch um ein Vielfaches schneller – und das bei deutlich geringerem Energieverbrauch im Vergleich zu herkömmlichen Systemen. Veröffentlicht im renommierten Fachjournal „Advanced Science“, eröffnet ihr Ansatz neue Perspektiven für umweltfreundlichere KI-Anwendungen sowie für neue Methoden der computerlosen Diagnostik und intelligenten Mikroskopie.
Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Schlüsselfaktor für den Fortschritt von Biotechnologie und medizinischen Verfahren, von der Krebsdiagnostik bis zur Entwicklung neuer Antibiotika. Der ökologische Fußabdruck großer KI-Systeme ist jedoch beträchtlich. So benötigt beispielsweise das Training von großen Sprachmodellen wie ChatGPT-3 mehrere Gigawattstunden Energie – eine Menge, die ausreicht, um die volle Leistungsfähigkeit eines durchschnittlichen Atomkraftwerks für Stunden zu beanspruchen.
Prof. Dr. Mario Chemnitz, seit kurzem Juniorprofessor für Intelligente Photonische Systeme an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, und Dr. Bennet Fischer vom Jenaer Leibniz-IPHT haben zusammen mit ihrem internationalen Team einen innovativen Weg gefunden, um potentiell energieeffiziente Rechensysteme zu entwickeln, die auf umfangreiche elektronische Infrastruktur verzichten. Sie nutzen dabei die einzigartigen Wechselwirkungen von Lichtwellen in Glasfasern, um ein fortschrittliches künstliches Lernsystem zu schaffen.
Eine einzige optische Faser
Das Besondere an ihrem System: Anstatt auf traditionelle Computerchips mit Tausenden elektronischen Bauteilen zu setzen, nutzen sie eine einzige optische Faser. Diese Faser kann die Arbeit verschiedenster künstlicher neuronaler Netzwerke übernehmen — und das bei Lichtgeschwindigkeit. „Mit einer einzigen optischen Faser bilden wir die Rechenleistung verschiedenster neuronaler Netzwerke nach”, erläutert Mario Chemnitz, der auch die Nachwuchsforschungsgruppe „Smart Photonics“ am Leibniz-IPHT leitet. „Dieses System macht es möglich, enorme Datenmengen in Zukunft schnell und effizient zu verarbeiten, indem es die einzigartigen physikalischen Eigenschaften von Licht nutzt.“
Erkrankung an der Stimme erkennen
Eine genauere Betrachtung der Funktionsweise offenbart, wie das Mischen von Lichtfrequenzen Informationen überträgt: Daten, seien es Pixelwerte von Bildern oder Frequenzkomponenten einer Audiospur, werden auf die Farbkanäle ultrakurzer Lichtpulse geprägt. Diese Lichtpulse transportieren die Informationen durch die Faser, wo sie auf vielfältige Weise miteinander kombiniert, verstärkt oder abgeschwächt werden. Neue Farbkombinationen am Ausgang der Faser ermöglichen nun Vorhersagen über die Art oder den Kontext der verarbeiteten Daten. So verraten bestimmte Farbkanäle beispielsweise, welche Objekte in Bildern zu sehen sind oder ob in der Stimme einer Person Anzeichen für eine Krankheit erkennbar sind.
Ein typisches Beispiel für maschinelles Lernen ist die Erkennung verschiedener Ziffern aus tausenden Handschriften. So nutzten Mario Chemnitz, Bennet Fischer und das Team vom Institut National de la Recherche Scientifique (INRS) in Québec ihre Methode, um Bilder von handgeschriebenen Einzelzahlen auf Lichtsignale aufzuprägen und durch die Glasfaser zu klassifizieren. Die Veränderung ihrer Farbzusammensetzung erzeugt dabei am Ende der Faser ein einzigartiges Farbspektrum – einen „Fingerabdruck“ für jede Ziffer. Nach dem Training kann die Maschine selbst Ziffern neuer Handschriften mit deutlich geringerem Energieaufwand analysieren und erkennen.
Farbton kennzeichnet Daten
„Man kann sich vereinfacht vorstellen, dass Pixelwerte in unterschiedliche Intensitäten der Grundfarben übersetzt werden – das heißt, je nach Wert etwas mehr Rot oder weniger Blau“, erläutert Mario Chemnitz. „In der Faser vermischen sich diese Grundfarben dann zum ganzen Spektrum des Regenbogens. Der Ton unseres gemischten Lilas im Regenbogen beispielsweise verrät uns nun viel über die Daten, die unser System verarbeitet hat.”
Das Team hat seinen Ansatz im Modellversuch auch zur Diagnose von COVID-19-Infektionen durch Stimmproben getestet, wobei die Trefferquote die bisher besten digitalen Systeme übertraf. „Wir sind die Ersten, die zeigen konnten, dass ein derart farbenfrohes Wechselspiel von Lichtwellen in optischen Fasern eine direkte Klassifikation von komplexer Informationen ermöglicht – ohne weitere intelligente Software“, erklärt Mario Chemnitz.
Mario Chemnitz ist seit Dezember 2023 Juniorprofessor für Intelligente Photonische Systeme an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seit seiner Rückkehr vom INRS in Kanada 2022, wo er als Postdoc arbeitete, leitet Chemnitz ein internationales Team am Leibniz-IPHT in Jena. Mit Unterstützung durch die Nexus-Förderung der Carl-Zeiss-Stiftung erforscht es die Möglichkeiten der Nichtlinearen Optik. Das Ziel: die Entwicklung intelligenter Sensorsysteme und Mikroskope ohne Computer sowie Verfahren für das Green Computing.
Original-Publikation und Video zum Thema:
B. Fischer, M. Chemnitz, Y. Zhu, N. Perron, P. Roztocki, B. MacLellan, L. Di Lauro, A. Aadhi, C. Rimoldi, T. H. Falk, R. Morandotti: Neuromorphic Computing via Fission-based Broadband Frequency Generation. Adv. Sci. 2023, 10, 2303835. https://doi.org/10.1002/advs.202303835Externer Link